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Die Cyborgedichte - Gedichte für eine neue Spezies I (Auszug zum digitalen Schreiben)

Nah am Horizont des Undruckbaren, wo
sich Bücher Letter für Letter buchstäblich etb-
lättern, sich wortwörtlich beseitigen, Seite
für Seite, verlegt und verloren im Übersinnlichen
hypersinnlicher Elektrosignale, eine Schock-,
Elektroschocktherapie für Literatur und
Betrieb; nicht Welt-, Weltweitliteratur,
verlinkt und heruntergeladen, gebunden
an das Papierlose, wo sich einst Schrift träger
entrollte, geschrieben und ediert, designt,
publiziert und verbreitet in einem, vom Schreibgerät
zum Lesegerät, der Buchdruck-
bruch tief in der Sehnsucht seiner Bibliophobien.

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Die leuchtenden Bildpunkte des muskulären
Immateriellen, wo die Mechanik der Hand erstarrt zur
Bewegtheit nervöser Finger, innerviert
auf der motorischen Endplatte alphabetisierter
Kommandos, vorgegebener, tief
in der Mikro-Inschrift einer längst beschriebenen Vor-
schrift; dort erzählt vom Entziffern
errechneter Gedichte die binärcodierte Matrix lyrischer
Gefühle, deren Grammatik Algorithmen sind
in der festen Metrik numerischer Zeichen; an der Tastatur
das Cyborg-Werden, die Maschinenpoetik
des Fleisches; im Schwarz-Weiß-Ton erklingt die mono-
tone Klaviatur einer Maschinenhand, hier, die nicht mehr
greifen, nicht mehr Zeigen, nur Anzeigen
kann, wo das Arbeiten am Text Textverarbeitung
ist; Schreiben, ein Tasten ins Leere, nur eine Leertaste
entfernt vom unbegreiflichen Abstand, dort, etwas
wie eine Erinnerung an einstiges Schreiben, etwas
wie ein leuchtender Schatten, eine sich erhellende
Spur, etwas Simuliertes, ein Vergessen,
Verschwinden...

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Im Gedicht das Wissen der Welt, ans Netz-
werk angeschlossen: das Netzgedicht, im Web
gewoben und überflutet mit intravenöser
Information; Fenster, nach allen Seiten geöffnet,
in der Datenübertragung verdichteter
Metaphern, kodierte Zeichen in der Verkettung
gespeicherter Interpretation, zeilenzer-
springend im Rhythmus der Doppelklicke; das Schreiben,
hyperverlinkt in den Gelenken der Texte,
fügt sich und fügt sich ein, wo Quellen aus der Erde
austreten und sich verlieren in ihrer
Zahl; das schnelle Wissen, weit verstreut, diffundiert
von A bis Z im verflüssigten Alphabet
einer neuen Ordnung.

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Aufblinkend und blank der letzte
aufleuchtende Stoff, ins Ortlose, verlorener Worte, vor-
und zurückgespiegelt diese verworrenen Reihen ihrer
durchQWERTen Räume; die Eingebung
ist handlich, aber fingiert, wie das Zeigen
ein Tasten ihrer buchstäblichen Berührung bleibt, irgendwo
zwischen Druck und Ausdrücken; wie Hand und Schrift sich
von der Handschrift trennen, ist jede Mitteilung
eine Teilung nur elektronischer Hautgewebe, wo
periphere Nerven und Plastik miteinander
verschmelzen: die decodierbaren Fingerabdrücke
einer programmierbaren Sprache; die Rhetorik des Denkens
buchstabiert ihre gewendeten Figuren neu
beweglicher Texte: löschen und kopieren, verschieben
und einfügen; das Programm des Schreibens
ist ein Schreibprogramm.

Philippe Kottoros